Es sind nur Sekundenbruchteile – und doch können sie das Verhalten von Pferden komplett verändern. Die Rede ist von positiven wie negativen Verstärkern, die in der AKA unter dem Dach der Operanten Konditionierung für das Verändern von Pferdeverhalten gelehrt werden. In der sanften Schnelligkeit des Einsatzes von Reizen liegt die Klarheit für das Pferd.
„Damit das Pferd diese Form der Konditionierung mit seinem Verhalten in Verbindung bringt, damit eine Konditionierung überhaupt funktionieren kann, sind Schnelligkeit und Klarheit gefragt, denn Pferde nehmen Zusammenhänge weitaus schneller wahr als wir Menschen“, erläutert Andrea Kutsch. Diese Regel ist ganz grundlegend im Verhalten der Pferde verankert und auch einer der wichtigsten Überlebensmechanismen von Wildpferden: Ohne eine blitzartige Reaktion auf minimalste Veränderungen in der Umgebung, kann einem Pferd – auch in einem Herdenverband lebend – in der freien Wildbahn Lebensgefahr drohen.
Das Prinzip macht sich ihre Methode EBEC (Evidence Based Equine Communication) zunutze. Andrea Kutsch führte bereits im Jahre 2006 erste Studien durch, um herauszufinden, ob ein Peitschen- oder Gertenhieb beim Zeigen eines unerwünschten Verhalten eines Pferdes, die gewünschte Verhaltensveränderung vom Pferd mit sich bringt. Die Ergebnisse waren eindeutig: Bei der Anwendung im Sinne der Bestrafung, müsste das vorher gezeigte Verhalten abnehmen, im Sinne der Anwendung der negativen Verstärkung müsste es zunehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Daher findet bei der Ausbildung von Pferden mit EBEC die Gerte oder Peitsche keinen Einsatz.
Eine neue wissenschaftliche Studien stützt nun den in der AKA entwickelten Ansatz. Ausgerechnet am Reizthema „Gerte“ zeigt Angelo Telatin, Professor für Pferdestudien an der Delaware Valley University in Pennsylvania, für den Rennsport, wie wichtig es ist, diesen Mechanismus bei der Konditionierung von Pferden im Hinterkopf zu haben. Seine Ergebnisse sind richtungsweisend und auf jede Form des Trainings übertragbar.
Der Experte spricht von der Frequenz, mit der die Gerte die Kruppe während eines Rennens berührt. In seiner Pilotstudie wurde Sportpferden via Berührung mit der Gerte eine neue Aufgabe beigebracht. Sie diente dabei als negativer Verstärker – sobald das gewünschte Verhalten gezeigt wurde, verschwand der unangenehme Reiz Gerte. Die Pferde wurden in dem Versuch zudem mittels Scheuklappen daran gehindert, die Körpersprache des Trainers wahrzunehmen.
Der negative Reiz wurde in verschieden Zeitabständen eingesetzt bzw. entfernt: Von 3 Sekunden über 1,5 Sekunden bis zu weniger als einer Sekunde. Das Ergebnis: Die Tiere der letztgenannten Gruppe lernten etwas besser, ihr Verhalten zu verändern, während die Tiere der beiden ersten Gruppen unerwünschte Verhaltensweisen entwickelten. Ganz klar war es ihnen nicht möglich, das Entfernen des negativen Reizes in Verbindung mit dem bereits gezeigten gewünschten Verhalten zu bringen.
Wer sein Pferd auf ein bestimmtes Verhalten konditionieren möchte, sollte dies also immer im Hinterkopf haben. Der Umkehrschluss liegt ebenso nahe: Wer ein Pferd, das bereits das gewünschte Verhalten zeigt, dann immer noch mit der Gerte traktiert, wer glaubt, mit weiteren Berührungen oder gar Schlägen „noch mehr“ des gewünschten Verhaltens in ein Tier „einprügeln“ zu können, wird es schon sehr bald mit einem Pferd zu tun haben, dass allein schon aus lauter Verwirrung, wenn nicht aus Schmerz, alles tun wird, um dem negativen Reiz auszuweichen.
Die Folge sind unerwünschtes Verhalten wie Buckel und Steigen, ganz einfach, weil das Tier auf Basis seiner angeborenen Verhaltensweisen und Denkkapazitäten gar keine Chance hat, die gesendete Botschaft zu entziffern. Im Gegenteil, wenn das Pferd das gewünschte Verhalten zeigt, sich z.B. also vorwärts bewegt, und dann trotzdem im weiteren Verlauf weitere Berührungen mit der Gerte erfährt, wird es an der Richtigkeit des angebotenen Verhaltens zweifeln und andere, meist unerwünschte Verhaltensweisen anbieten, im Zweifel eher langsamer werden. Zudem wird es auf den Peitschenhieb konditioniert und nicht auf den treibenden Schenkel, auf den es ja eigentlich mit der Vorwärtsbewegung reagieren soll, um der Dressurskala, wie sie in der FN (Deutsche Reiterliche Vereinigung) gelehrt wird, gerecht werden zu können.
Telatin sieht dies besonders kritisch im Zusammenhang damit, dass im Sportbereich immer wieder diskutiert wird, die Einsatzfrequenz der Gerte zum Wohlbefinden der Tiere reduzieren – auf eben jene drei Sekunden, die verhindern, dass sie den Einsatz des negativen Verstärkers überhaupt mit einer Verhaltensänderung in Verbindung bringen können. Erhöhte Frequenzen werden sowohl nach Andrea Kutsch als auch seiner Meinung nach, nur neue und weitere Probleme für Tier und Reiter schaffen und damit dem Pferd eher schaden als sein Wohlbefinden zu steigern. Im Sinne der Anwendung der Operanden Konditionierung ist die Gerte kein wirkungsvolles Mittel der Erziehung und des Pferdetrainings.