Ein Energiebündel? Ein Angsthase? Ein Partylöwe? Ein Einzelgänger? Zu wissen, mit was für einem Charakter man es zu tun hat, ist eine bedeutsame Grundlage für die künftige Arbeit mit deinem Pferd. Es ist wichtig für ein empathisches und wohlwollendes Verständnis dafür, warum bestimmte Trainingseinheiten womöglich länger dauern und andere einfach so flutschen. Oder auch für das Wissen, wo die Stärken und Schwächen des eigenen Pferdes liegen.

Vor über zehn Jahren entwickelte die Behaviouristin Dr. Lea Lansade einen Persönlichkeitstest für Pferde ab acht Monaten, der mittlerweile weltweit anerkannt und angewandt wird, auch in der Andrea Kutsch Akademie. Er bringt die Persönlichkeitsmerkmale der Tiere so gut auf einen Nenner, dass man ihn ohne viel Aufhebens ganz einfach am eigenen Pferd durchführen kann. Er eignet sich auch sehr gut, wenn man ein Pferd beim Neukauf testen will, bevor man es mit nach Hause nehmt und eine langfristige Bindung eingeht. So lassen sich Überraschungen minimieren.

Persönlichkeitsaspekte erkennen

Beim Test werden 5 Persönlichkeitsaspekte unterschieden: Die Ängstlichkeit, die Geselligkeit, die Reaktion auf den Menschen, die Berührungsempfindlichkeit und die Bewegungsfreude. Der gesamte Test wird in einem klar abgesteckten Umfeld ausgeführt. Ideal ist eine Umzäunung von 8 mal 3 Metern. Damit das Pferd nicht isoliert ist, kannst du auch einen ruhigen, bekannten Wallach in Sichtweite des „Test-Pferdes“ unterbringen.

Der eigentliche Test dauert nur 20 bis 30 Minuten – das Ergebnis hat lebenslange Auswirkungen auf die Kommunikation und den Umgang mit dem jeweiligen Pferd.
Bevor es losgeht, bekommt das Pferd zunächst fünf Minuten Zeit, die neue Umgebung auf eigene Faust zu erkunden, damit es sich dort sicher fühlt.

Ängstlichkeit
Ängstlichkeit setzt sich aus verschiedenen Aspekten zusammen, die in drei Tests geprüft werden. Zunächst wird ein dem Pferd unbekanntes Objekt für 3 Minuten innerhalb der Umzäunung platziert. Wie reagiert das Pferd? Nähert es sich dem Objekt? Notier dir unbedingt, wie oft das Pferd Kontakt mit dem neuen Objekt aufnimmt. Das ist wichtig für die Auswertung.

Im zweiten Test schauen wir uns an, wie das Pferd auf einen unbekannten Untergrund reagiert. Fülle einen Eimer mit Futter und lass das Pferd zunächst fressen. Dann legst du zwischen Pferd und Futter eine Plane auf den Boden. Das Pferd sollte vorher noch nicht mit Plastikplanen trainiert oder bekannt gemacht worden sein, sonst ist es vielleicht schon darauf konditioniert und das kann dein Ergebnis natürlich beeinflussen.

Zwei Dinge behältst du jetzt bitte im Blick: Zum einen die Zeit, die das Pferd benötigt, um komplett mit allen vier Hufen über die Plane zu gehen. Zum anderen beobachtest du, wie sich das Pferd über die Plane bewegt. Notiert wird: Wie lange das Tier benötigt, um die Plane mit allen vier Hufen zu überqueren – ausgedrückt auf einer Skala von 0 bis 100.

Je länger das Tier braucht, desto höher der Wert. Verweigert es total, liegt der Wert bei 100. Bewegt es sich nur halb über die Plane, bekommt es eine 50. Das gesamte Verhalten wird parallel dazu beobachtet: Ist das Tier ruhig oder nervös, geht es sehr vorsichtig und tastend, versucht es zu springen oder verweigert es komplett?

Ganz wichtig: Wenn das Pferd so ängstlich ist, dass es sich selbst in Gefahr bringt, muss der Test natürlich abgebrochen werden. Also aufpassen, dass es sich nicht mit den Hufeisen in der Plane verfangen kann. Das kannst du verhindern, in dem du die Seiten gut einbuddelst oder mit Trabstangen beschwerst. Die Gefahr liegt in den Seiten, die sich unter dem Eisen verfangen können. Also da musst du unbedingt aufpassen.

Zuletzt untersuchst du, wie das Pferd auf eine plötzliche Veränderung reagiert. Platziere dafür einen ferngesteuerten Regenschirm über dem Futterbehälter, den du in Bewegung setzt, wenn das Pferd frisst. Es ist auch möglich, dass du jemanden davor platzierst, der dann auf dein Kommando etwas versteckt den Schirm betätigt. Wichtige Daten in diesem Test sind die Entfernung, die das Pferd zwischen sich und den Schirm bringt und die Intensität des Zurückspringens. Im zweiten Teil des Versuches lässt du dann den Regenschirm aus der Ferne öffnen. Das wäre optimal. Jetzt notierst du Distanz und Sprungintensität und die Entfernung in cm und Sprungintensität auf einer Dezimalskala von 0 bis 2.

Tipp: Da nicht jeder einen ferngesteuerten Schirm im Stall hat: Ein Wecker oder auch ein ferngesteuertes Spielzeug leistet ebenso gute Dienste.

Geselligkeit und Reaktion auf den Menschen
Lieber allein oder in Gesellschaft? Dieser Test ist ganz einfach: Für 90 Sekunden führst du den Wallach aus dem Sichtfeld des zu testenden Pferdes. Notiert wird, wie oft das alleine gelassene Tier wiehert oder buckelt. Auch die Reaktion auf den Menschen lässt sich leicht und schnell erkunden: Eine dem Pferd unbekannte Person betritt das „Testgelände“ und bleibt dort für 3 Minuten unbeweglich stehen. Notiert wird, wie oft das Pferd von sich aus Kontakt aufnimmt, wie oft es zum Schnüffeln und Knabbern kommt.

Berührungsempfindlichkeit
Der Test auf Berührungsempfindlichkeit wird in zwei Versuche geteilt. Zum einen nutzt du den sogenannten Von Frey-Test. Mit verschiedenen kalibrierten Fasern bestimmst du den Schwellenwert der Kraft, die aufgebracht werden muss, um eine Berührung wahrzunehmen. Führe diesen Test mit vier Kalibrierungen am Widerrist des Pferdes durch. Notiert wird, ob das Pferd reagiert oder nicht (1 oder 0).

Im zweiten Teil testest du dann die Reaktion des Tieres auf die Berührung der Hüft-Knie-Achse. Nutze vier Materialien mit verschiedenen Härtegraden, die du zügig und mit gleichem Druck entlang dieser Linie zieht. Alle Materialien sind 3 cm breit. Notiert wird die Muskelreaktion auf einer Dezimal-Skala von 0 bis 2. Dabei entspricht 0 keiner Reaktion und 2 einer sehr heftigen Reaktion. Tipp: Denkbare Materialien sind Pappe, dünnes Metall, Stoff, ein Holz-Eisstil, ein Blatt etc.

Bewegungsfreude
Die Bewegungsfreude misst du quasi nebenher. Im Geiste unterteilst du das „Testgelände“ in sechs gleich große Sektionen. Notiert wird, wie viele dieser Felder das Pferd während der 5-minütigen Eingewöhnung, während des 3-minütigen ersten Ängstlichkeitstests und während der 3-minütigen Begegnung mit dem unbekannten Menschen durchquert. Tipp: Da du deine Augen nicht überall haben kannst, hol dir Hilfe! Eure Co-Reiter werde sicher begeistert mitmachen und ihr könnt dann gemeinsam deren Tiere testen.

Für eine wissenschaftliche Studie ist es unerlässlich, Testergebnisse numerisch zu erfassen. Dieser Persönlichkeitstest gibt dir auch ohne solchen Aufwand schon einen sehr guten Eindruck davon, mit was für einem Pferd du es zu tun hast. Mach dir dennoch die Mühe, mit den Skalen und Messwerten zu arbeiten, denn erst durch die Vergleichswerte zu anderen Pferden wird wirklich deutlich, wo du mit deinem Pferd stehst. Ganz wichtig ist, dass du im Kopf hast, dass es kein „gutes“ oder „schlechtes“ Temperament gibt, nur unterschiedliche Pferde, die einen unterschiedlichen Umgang, Training, Ausbildung oder Sensibilisierungen von Dingen oder Desensibilisierungen von Reizen erfordern.

Du willst noch mehr über dieses Thema wissen? Wie im Einzelfall beim Training, bei der Zügelarbeit, beim Satteln und in weiteren Situationen auf die charakterlichen Besonderheiten von Pferden am besten eingegangen wird, lernst du in den Lehrgängen der AKA.

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