Eine pferdezentrische Sicht einnehmen, das ist oft leichter gesagt als getan. Denn bei allem Wissen: In die Köpfe der Tier können wir nicht reinschauen. Zumindest bisher nicht.
Die französischen Forscher Dr. Hugo Cousillas und Dr. Martine Hausberger von der Universität Rennes haben jetzt ein Instrument entwickelt, das den Traum vom kompletten Verstehen der Pferde etwas näher bringt. Das tragbare Messgerät erstellt ein Elektro-Enzephalogramm (EEG) von aktiven, sich bewegenden Pferden – und zwar in dem Moment, in dem die Hirnströme auf die Außenwelt reagieren.
Dieses Tool könnte ein Durchbruch sein, um das Denken und die Reaktionen von Pferden auf einer wissenschaftlichen Basis für die Anwendung von EBEC, der von Andrea Kutsch entwickelten wissenschaftlich basierten Trainingsmethode, jenseits von Interpretation und Spekulation, aufzuzeichnen.
Die von den Forschern entwickelte Technologie misst die Hirnströme über Elektroden, die an fünf Punkten des Pferdekopfs platziert werden. Die dazugehörige „Kappe“ ist so konzipiert, dass sie die Bewegungen des Pferdes nicht einschränkt und jeder Kopfform und -größe angepasst werden kann, ohne den Sitz der Elektroden zu destabilisieren.
Wurden in der Vergangenheit EEG-Messungen an Pferden vorgenommen, dann stammten die Daten von fixierten Pferden. Für das Ziel, eine pferdezentrische Sicht zu ermöglichen, sind diese jedoch kaum brauchbar: Das Pferd befindet sich in einer unnatürlichen Situation, der Eingriff durch den Menschen ist maximal.
Mit der „Kappe“, die Daten über Bluetooth direkt auf den Bildschirm überträgt, ist ein nichtinvasives Instrument gefunden, das eine neue Dimension öffnet, um das Verhalten von Pferden besser zu verstehen. Aufregung, Angst oder Ruhe – all das kann nun während des Ausritts, im Stall, bei Events oder im Hänger beobachtet werden.
Auf Basis dieses neuen Wissens können für das Pferd beängstigende und stressende Situationen minimiert bzw. das Training so konzipiert werden, dass diese Komponenten z.B. beim Shaping berücksichtigt werden, wie es in der AKA gelehrt wird. (Beim Shaping nähert man sich in vorher definierten Einzelschritten sukzessive dem Endtrainingsziel.)
In seiner Studie verglich das Forscherteam u. a. mehrere 15-minütige EEG-Aufzeichnungen von Reitpferden mit behavioristischen Beobachtungen per Video-Aufzeichnung. Die Korrelation zwischen beiden war bemerkenswert hoch. Dies zeigt nicht nur, dass die Messungen der Hirnströme zuverlässige Ergebnisse liefern, sondern auch, dass eine genaue Verhaltensbeobachtung des Tieres bereits den Weg zu einer pferdezentrischen Sicht ebnet. Das bestätigt das Vorgehen der AKA, die interspezifische Kommunikation mit Hilfe von Ethogrammen zu lehren – Zeichnungen von Pferdeverhalten, die wie ein Vokabelheft der interspezifischen Kommunikation funktionieren.
Derzeit wird das Messinstrument bereits eingesetzt, um zu erfahren, wohin das Pferd in einem gegebenen Moment seine Aufmerksamkeit lenkt. Künftige Einsatzgebiete werden Datensammlungen zum Wohlbefinden der Tiere sowie zu ihren Emotionen sein.
Auch im klinischen Bereich können die Messungen von Nutzen sein, etwa um Hirntraumata zu entdecken oder das Tier während einer Operation besser zu überwachen. Aber auch Pferdehalter können von der Möglichkeit, die unmittelbaren Hirnströme während der Bewegung aufzuzeichnen, stark profitieren – etwa um die Reaktion ihrer Pferde in bestimmten Situationen und Umgebungen zu antizipieren.
Das setzt natürlich voraus, zu wissen, wie man im Rahmen des Trainings gegenwirken kann. Doch dies kann man mit EBEC lernen, denn das Trainingssystem basiert auf neuer Grundlagenforschung zur Wahrnehmung und Körpersprache von Pferden – dem Wissen darüber, wie Reize im Gehirn verarbeitet und Lernerfolge langfristig behalten werden. Mit EBEC sind Pferdefreunde erstmals in der Lage, die Perspektive des Pferdes einzunehmen und Anreize fürs Training aus den natürlichen Verhaltensweisen des Pferdes abzuleiten. Das Entstehen von Stress im Rahmen des Trainings wird vermieden, so dass Pferde zuverlässiger und freudvoller lernen und Missverständnisse ausgeschlossen werden.
Momentan arbeiten die Forscher noch mit einem Prototyp, im Handel wird das Messgerät noch ein ganze Weile nicht erhältlich sein. Zumal es dem Team ein Anliegen ist, den Preis so zu gestalten, dass möglichst viele Pferdehalter sich die „Kappe“ leisten können, um einer pferdezentrischen Perspektive noch näher zu kommen.
Wie die Studien ergaben, ist bereits die umfassende Kenntnis von Verhalten aber auch von physischen Komponenten des Pferdes ein valider Schritt zu einer pferdezentrischen Sicht. Die Basis dafür lernt ihr in den Seminaren und Lehrgängen der AKA. Dort wird Euch auch gezeigt, wie ihr Pferde stressfrei und entspannt auf das gewünschte Verhalten konditioniert.