Das Thema Lecken und Kauen beim Pferd ist ein Inhaltsbereich, zu dem die Interessierten an unserer wissenschaftlich basierten Kommunikationsmethode (EBEC – Evidence Based Equine Communication) einen hohen Wissensdurst äußern. In unseren Lehrgängen haben die wissenschaftlich untersuchten Gesten des Pferdes, zu denen auch das Lecken und Kauen gehört, einen sehr hohen Stellenwert.

Keine pferdegerechte Vorgehensweise

Zahlreiche Pferdetrainer verschnallen das englische Reithalfter der Trense auf eine Art und Weise, die dazu führt, dass das Pferd das Maul nicht ausreichend öffnen kann. So wird die Geste des Lecken und Kauen nicht sichtbar. Andere Pferdetrainer plädieren darauf, dass man sie im Pferd als Unterwürfigkeitsgeste hervorrufen müsse, vornehmlich durch das Treiben im Kreis, um damit die Grundlage für Vertrauensgewinn zu legen. Beides sind Vorgehensweisen oder Vermutungen, die sich durch Studien der AKA, teils in Kooperationen mit unterschiedlichen Universitäten weltweit, aus dem Blickwinkel des Pferdes als stressvoll ergeben haben.

Erst entsteht Stress im Pferd und dann das Lecken und Kauen

Dass scheinbar unmotiviertes Lecken und Kauen eine Entspannungssituation nach starkem Stress signalisieren, hat bereits Behaviouristin Sue M. McDonnell am veterinärmedizinischen Referat der University of Pennsylvania anhand mehrerer Studien dargelegt (Mehr Info: Lecken und Kauen als Botschaft).

Das durch den Speichelfluss nach einem Reiz-Reaktion-Schema ausgelöste Verhalten wurde schon mehrfach an domestizierten Tieren untersucht und wird in der AKA bereits seit 2006 als eine Kommunikationsform des Pferdes betrachtet, die Hinweise auf seinen inneren Gemütszustand gibt. „Stress muss in einer Trainingssituation gering gehalten werden, damit das Gehirn des Pferdes Informationen bewusst verarbeiten kann. Das Lecken und Kauen gibt uns wichtige Hinweise darauf, dass der zu verarbeitende und verhaltensauslösende Reiz zu stark dargeboten wurde“, berichtet Andrea Kutsch aus den Lerninhalten der AKA Lehrgänge.

Lecken und Kauen ist keine Unterwürfigkeitsgeste

Nun hat ein Team der bei Oslo basierten University of Life Sciences die bereits vorhandenen Ergebnisse durch Beobachtungen einer Herde von ca. 200 Wildpferden in ihrer natürlichen Umgebung in einem 345 km² großen Nationalpark in Ecuador untermauert und damit die Methode EBEC weiter wissenschaftlich gestützt. Der Ansatz von Margrete Lie (Master of Science) und Prof. Ruth Newberry war dabei zu klären, ob scheinbar unmotiviertes Kauen oder Lecken eine Geste der Unterwerfung ist, wie es immer noch in einigen Schulen und Trainingszentren gelehrt wird.

Die beiden Wissenschaftlerinnen und ihr Team beobachteten die Herde 80 Stunden lang und zeichneten dabei das Verhalten der Tiere untereinander in insgesamt 202 Sequenzen genauestens auf. Ganz besonderes Augenmerk legten sie dabei auf aggressiv gefärbte Interaktionen, auf das Aufeinandertreffen eines letztendlich dominanten Tieres mit einem unterlegenen. Zeigte sich das Verhalten in dem Fall tatsächlich bei dem am Ende schwächeren Tier als Geste der Unterwerfung? Lies und Newberrys Ergebnisse widerlegen diese These eindeutig. Beide Tiere kauten und leckten nach der Begegnung. Besonders auffällig: Das Verhalten war insgesamt bei den Aggressoren, den am Ende überlegenen Tieren, die keinerlei Anlass hatten Unterwerfung zu demonstrieren, sogar signifikant häufiger.

Reiz-Reaktions-Muster durchbrechen

Zum anderen stellten die Forscher bei ihren Aufzeichnungen die Frage in den Fokus, wann das unmotivierte Kauen und Lecken zeitlich zu angespannten und entspannten Situationen auftrat. Dass das Verhalten meist einer Stresssituation folgte, untermauert die bereits vorhandenen Ergebnisse zu dem Thema zusätzlich: Das über das Nervensystem gesteuerte Instinktverhalten, das dem Pferd bei Stress eine Gefahrensituation signalisiert und es körperlich auf eine Flucht vorbereitet (Fight-or-Flight), indem es alle Energie in Muskulatur, Blutgefäße und Drüsen leitet, resultiert am Ende u.a. in einem trockenen Maul. Ist der Stress vorbei, fließt mehr Speichel – eine Reaktion, die wir Menschen aus eigener Erfahrung auch kennen. Ob das Kauen und Lecken darüber hinaus auch eine beruhigende Wirkung hat, ist eine Frage, die es in weiterführenden Studien zu klären gilt.

Für die Arbeit mit Pferden ist die Studie der Norweger ein weiterer Beleg dafür, unmotiviertes Lecken und Kauen als Indikator für vorangegangenen Stress zu interpretieren, der – bedingt durch das angeborene Reiz-Reaktions-Muster – einen körperlich und nervlich extrem belastenden Zustand darstellt. Dass es für das Pferd gar nicht erst soweit kommen muss zeigt das Training mit EBEC, das genau solche Ergebnisse als wissenschaftliche Basis nutzt. Ein konsequentes Monitoring, eine pferdezentrische Perspektive sowie die intra- und interspezifische Kommunikation, wie sie in der AKA vermittelt werden, verhindern, dass das Tier sich wie in einer Gefahrensituation fühlt und verhält. Der belastende Mechanismus wird als Reaktion auf einen Reiz von außen nicht mehr als notwendig angesehen, sondern eher vermieden. So ist ein Pferdetraining ohne Stress mit einem hohen Lerninhalt möglich.

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